Mit Fremden ins Gespräch kommen

Alle sind getroffen vom Lockdown. Wirtschaftlich ist die Corona-Pandemie für viele Selbstständige, Künstler, Dienstleister und Freiberufler eine Katastrophe. Sie kämpfen um ihre Existenz.

Fotograf Alex Lörtscher mit Fremden im Gespräch in der Corona-Zeit am Flughafen Zürich
Fotograf Alex Lörtscher mit Fremden im Gespräch in der Corona-Zeit am Flughafen Zürich

Alex Lörtscher hatte bisher Glück. Der Fotograf aus Uster hat aus der Not eine Tugend und den Lockdown zum Thema seiner Arbeit gemacht. Vom Erfolg seiner Corona-Fotobücher LOCKDOWN und STRONGER ist er selbst etwas überrascht.

Zurück an einem Ort der Leere

Die Fotos aus dem bewegenden Buch gibt es nun auch als Fotokarten und Poster. Der Hit dieser Fotoserie ist das Bild der geparkten Jets auf dem Dübendorfer Flugplatz.

Weil es in diesen Tagen Momente gibt, an denen nicht viel passiert und Alex der Kontakt zu den Menschen fehlt, kommt er auf eine Idee. «Ich könnte das tun, was jetzt kaum noch jemand tut: Mit Fremden ins Gespräch kommen», überlegt er. Er beschliesst, an die Orte seiner Bilder zu fahren.

Aus dem Krieg in die Schweiz

Zuerst geht es an den Flughafen Zürich. Im Gepäck nur seine Kamera und eine Handvoll Fotokarten. Fast allein steht Alex im Terminal 2 in der riesigen Halle vor der Passkontrolle. Ohne Menschen erscheint sie noch riesiger. Hier und da schlendert jemand vorbei. Der Fotograf hält eine Fotokarte in der Hand.

«Darf ich Dich etwas fragen?», geht er auf Saleh zu. Der 39-Jährige arbeitet als Lagerist für Valora und beliefert die K-Kioske am Flughafen. Alex zeigt ihm das Foto mit den Jets und fragt: «Woran denkst Du, wenn Du dieses Foto siehst?»

Zu seiner Überraschung sagt er: «Es löst ein Heimatgefühl bei mir aus.» Saleh kam vor sechs Jahren aus dem Kriegsland Yemen in die Schweiz. In fliessendem Deutsch erzählt er, wie sehr ihn der Patriotismus hier beeindruckt.

In seinem Land herrsche grosse Not. Hier in der Schweiz funktioniere auch in der Krise alles. Doch er sagt auch, wie sehr in die Leere manchmal bedrücke. «Mir fehlen die Menschen, das geschäftige Leben am Flughafen.» Er freut sich sehr, als Alex ihm zum Abschied die Fotokarte mit Kuvert schenkt.

Die Chefs von tausend Lichtern

Zwei Flughafenangestellte kommen auf dem Weg zur Kantine vorbei. Sie sind auf Kurzarbeit gesetzt. Etwa drei Tage pro Woche arbeiten sie noch. Beide sind für die Beleuchtung zuständig, für tausende LED-Lampen.

«Alles dauert länger, die Lieferketten für Ersatzteile sind teilweise unterbrochen», sagt einer. Er seufzt. Irgendwie komme man schon durch, aber es sei zwischendurch einfach nur trostlos. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als Alex auch ihm eine Fotokarte überreicht.

Chatten mit der Oma

Dann kommt Haru. Sie arbeitet im Check-in und am Gate. Jetzt hat sie Mittagspause. Als der Fotograf aus Uster ihr das Foto zeigt, ist Haru betroffen. «Ja, das zeigt die ganze Misere, wie traurig», sagt sie. «Da blutet einem das Herz.»

Haru ist halb Schweizerin, halb Japanerin und mit einem Peruaner verheiratet. Eine multinationale Familie, die in der Welt zu Hause ist. Jetzt kann niemand mehr fliegen. Mit ihrer 101-jährigen Oma in Japan kann sie nur noch einmal in der Woche online reden.

Als Alex ihr das Bild schenkt, sagt sie: «Das wird meine Kinder freuen. Wir waren im März 2020 zusammen in Dübendorf und haben uns die geparkten Jets angeschaut.»

Fliegen in die Ausgangssperre

Eine türkische Familie schlendert in Richtung Passkontrolle. Die Mutter fliegt eine Woche in die Türkei auf Familienbesuch. «Sie kann nicht viel dort tun», sagt ihr Sohn. «Dort ist über das Wochenende Ausgangssperre.»

Aber die Familie sei ja da, das zähle. Interessiert schaut er das Foto an und nimmt es dankend an. Ja, das habe er schon gesehen, die geparkten Jets. «Was für ein Drama für die Airlines. Das tut mir echt leid.»

Auch den Ordnungshütern gefällt es

Auch eine junge Polizistin und ihr Kollege bleiben stehen. Sie haben nicht viel zu tun in diesen Wochen im Februar. «Eine coole Idee, die Interviews mit dem Foto», sagt der Polizist. Beide freuen sich über das Fotogeschenk.

Doch eine Mahnung gibt es dennoch: «Das nächste Mal holen Sie sich bitte eine Bewilligung, bevor Sie am Flughafen fotografieren und Interviews machen.» Alex bejaht die Aussage artig und beide lächeln zum Abschied.

Jeder macht seinen Job. Als Alex wieder nach Hause fährt, geht es ihm richtig gut. Wie schön es ist, mit den Menschen zu reden! Reden über den tristen Alltag. Reden über Bilder, die bleiben.

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